SCREENPLAY
OTTO KLEMPERER’S
LONG JOURNEY
THROUGH HIS TIMES

TEIL I
1.

Beethoven, Symphonie Nr. 9

Lotte Klemperer – Setz dich ein bischer höher…

Klemperer – Good morning. I’m very glad to be back together with you. We will repeat the first movement. From the beginning, the very beginning.

GUSTAV MAHLER: THE MASTER

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Mahler, 2. Symphonie

Klemperer – No … no! Everybody …!. Here….!

Mahler, 2. Symphonie

Peter Weiser – Ich finde, er macht den objektivsten Mahler, nicht? Er interpretiert nicht seine persönlichen Gefuhle hinein. Und das Erstaunliche ist, daß die Zerrissenheit der Zeit viel deutlicher zum Ausdruck kommt. Es war ja klar, daß diesem Komponisten der Untergang der Kultur des 19. Jahrhunderts ganz klar vor Augen gestanden ist, der Untergang des Landes, mit dem er mit einer Haßliebe verbunden war. Er hat das alles vorausgesehen.

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Klemperer – Also, wir wohnten im Westen Hamburgs, und auf meinem Schuhlweg also, da sah ich einen Mann … es schien mir, als ob er nicht ordentlich gehen konnte, also, er hinkte so ein bißchen … und ich wußte: das ist der Kapellmeister Mahler. Da war ich, Gott, kleiner Junge … Ich hatte als Knabe nur einen Wunsch: Schauspieler zu werden. Ich habe mir so gesagt: “Ich studiere Musik, aber wenn ich mündlich bin, dann gehe ich natürlich unter die Schauspieler …

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Und in Berlin, ich war ja noch am Konservatorium, brachte Max Reinhardt wirklich Leben in die Bude … da waren zum ersten Mal richige Bäume, die man umfassen konnte! Und seine Schauspieler, ich meine: Moissi als Oberon … und mit dem Licht hat er wirklich Zauberei gemacht. Da hat er den Orpheus, von Offenbach gegeben mit Schauspielern. Moissi hat den Pluto gesungen! Er hat wirklich gesungen, sehr hübsch. Da war Oskar Fried und ich war als Chorleiter … na, gleich in der Generalprobe verkrachte sich Fried maßlos mit der Sängerin, von der Osten, und es war kein Dirigent da, und da bestimmte Reinhardt: ich soilte dirigieren … und ich war wahnsinnig stolz: ein Konservatorist, der plötzlich Dirigent ist in einem Theater! Und die älteren Dirigenten in Berlin haben alle auf mich geschimpft!

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Offenbach, Overtüre ‘La Belle Hélène’

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Klemperer – Oskar Fried, der zu seiner Zeit ein sehr wichtiger Dirigent in Berlin war, denn er war der einzige, der neue Sachen machte: Nikisch nicht, Weingartner nicht, keiner … aber er machte die zweite von Mahler, und er bat mich, hinten die Fernmusik zu dirigieren. Und Mahler war da und kam in die Generalprobe, und ich fragte: “War es so richtig?” Da sagte er: “Nein! Es war schauderhaft! Es muß ganz leise klingen …” Sage ich: Da steht doch aber ‘sehr schmetternd’?” – “Ja,” sagte er, “aber weit, weit hinten an”. Also, bei der Aufführung instruierte ich die Musiker: “Spielen Sie alles pianissimo”. Und es ging gut … und Mahler wandte sich an mich und sagte: “Sehr gut.” Also!

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Klemperer – Ich hatte damals einen Klavierauszug gemacht von der zweiten Symphonie, und Fried hatte mir gesagt: “Wenn Sie in Wien sind, besuchen Sie doch Mahler; der wird sich freuen.” Na, ich bin hingekommen und spielte auch auf dem Klavier, und er war sehr angenehm überrascht, daß man sogar Klavierauszuge jetzt macht von semen Symphonien … und da hat er gesagt: “Was brauchen Sie Dirigent zu werden? Sie sind ja ein sehr guter Klavierspieler.” Ich wollte nie Pianist werden, ich wollte Dirigent werden! Und da sagte ich: “Dazu brauche ich Ihre Empfehlung.” Ich habe das Glück gehabt, noch die Iphigenie in Aulis und die Wallküre zu erleben unter ihm, der übrigens sein eigener Regisseur war. Es war, was er auch dirigierte, alles selbstverständlich. Man sagte: “Ja, fertig.”

Mahler, 2. Symphonie, 2. Satz

Klemperer – With me …! No … no, gentlemen … it’s . the music is a little rubato … not like a metronome. And eh … (he sings) we wait a moment, the up-beat … and then, it sounds naturally this movement, like Schubert … but it is not Schubert! It’s only that the composer thinks back in the happy times when Schubert lived … that’s all.

Mahler, 2. Symphonie, 2. Satz

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Klemperer – Bei einem internationalen Musikfest in Dresden, da habe ich, beim Essen habe ich am Nebentisch gehört: “Wir brauchen in Prag jetzt einen jungen Dirigenten.” Ich fuhr die Nachtdritter Klasse nach Marienbad, zu Angelo Neumann, dem Direktor, und ich hatte ein solches Pack Kompositionen unter dem Arm, ich dachte: “Ich muß mich doch vorstellen, der hat doch keine Ahnung.” Er hat überhaupt nicht gefragt: Durch die Empfehlung Mahlers bekam ich meine erste Stellung in Prag.

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Klemperer -”Nächste Woche ist Freischütz.” Sagte ich: “Mit wieviel Proben?” “Eine Probe, alle wissen ja ihre Rollen”. Sagte ich: “Nein, nein … zwei Proben brauche ich: eine mit dem Orchester allein, und eine mit allen.” Und es war ein großer Erfolg, nur weil ich nein gesagt habe, das ist sehr wichtig.

Klemperer – Im Winter 1909 kam es zu einem Streit zwischen Angelo Neumann und mir. In meiner Not kabelte ich an Mahler, der in New York war und bat ihn um ein empfehlendes Wort fur Hamburg. Da hat er telegraphiert an den Direktor: “Klemperer zugreifen”.

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Paul Dessau – Ich weiß genau, daß Klemperer, wie er ans Pult trot, er seine Brille abnahm, beide Gläser säuberte, es ging nicht los … es dauerte doch mindestens zwei Minuten bis er den Taktstock dann hab und mit dem Lohengrin-Vorspiel anfing.

Klemperer – Der erste Edelknabe (singt): “Macht Platz! Macht Platz! Für Elsa von Brabant …” nicht wahr? War Elisabeth Schumann, der zweite war Lotte Lehmann … so eine Besetzung, nicht? ich habe mein ganzes Leben, und das ist doch schon ziemlich lange, habe ich nie einen solchen Erfolg wieder gehabt. Die Kritiken sprachen von einem Meteor, der von Himmel gefallen! (Lacht).

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Paul Dessau – Seltsomerweise wohnten seine Eltern in derselben Straße in Hamburg wie meine Eltern. Ich war so erstaunt, wie er ein Großteil der achten Symphonie von Gustav Mahler auswondig am Klavier vorspielte und sang, die Chöre und die Solisten, ohne Noten.

Klemperer – Ich muß wohl sagen, do hebe ich eigentlich zum ersten Mal gefühlt: Es steht ein großer Komponist vor mir.

Klemperer – War dieser Störenfried des europäischen Konzertlebens nun endlich tot? Ich glaube nicht.

Mahler, 2. Symphonie, 2. Satz

Klemperer – Er war vollkommen unverstanden, da war ja noch tiefer Friede in der Welt. Und jetzt 1st or beinahe Mode. Mode ist auch sehr bös. Er machte sich Sorgen über Arnold Schönberg. “Wer wird für ihn sorgen, wenn ich nicht mehr bin?”

AUF DER SUCHE NACH NEUEN TONEN

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H.H.Stückenschmidt – In Hamburg, dirigierte Schönberg die erste Aufführung des Pierrot Lunaire. Klemperer gehörte zu den sehr wenigen Besuchern.

Klemperer – Das war ein sehr wichtiger Moment. Ich hatte so eine Musik noch nicht gehört. Dabei war Pierrot Lunaire, ist gar nicht Zwölftonmusik.

Schönberg, Verklärte Nacht

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Klemperer – Aber dann, im Laufe der Monate, sah ich doch die schreckliche Tragik des deutschen Operntheaters: Jeden Tag eine andere, unprobierte Oper. Es war unerträglich. Diese Ansicht war auch der Hauptgrund, warum Mahler die Wiener Oper schließlich verlies. Es war so unerträglich, daß ich wirklich krank wurde, psychisch krank. Ich mochte nichts mehr, und das ganze nächste Jahr, ich hatte mir Urlaub erbeten, habe ich nicht dirigiert. Ich habe nur studiert. Und ich kann sagen, daß nach heute, jetzt wo ich Cosi fan Tutte dirigierte: Ich konnte es besser, weil ich es damals einrnal gründlich studiert hatte.

Mozart, Cosi fan tutte

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Klemperer – Paris war der Ort, wo die Josefslegende von Strauss zum ersten Mal gegeben wurde, in 1914, vor dem Krieg. Und auch am selben Abend Petrouchka.

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Klemperer – Strauss, das war doch für die Deutschen der kommende Mann, ich meine: Strauss war unantastbar, nicht wahr? Das war eine ungeheuere Sensation, die Salome, das ist ein erstaunliches Stück.

Strauss, Salome

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Klemperer – Na, und dann der Rosenkavalier, da ertrank alles in Süßigkeit und verzuckerter Musik. Die Josefslegende wurde in Paris sehr kühl aufgenommen. Es war natürlich schon politisch: Man hatte fur den Deutschen Richard Strauss nicht das Interesse wie fur den verbündeten Russen. Und bei Petrouchka war ein wahrer Jubel von Beifall!

Stravinsky, Symphonie

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Klemperer – Hans Pfitzner, ein früherer Lehrer, sagte: Ich möchte für ein Jahr seine Stellung in Strassbourg übernehmen, er möchte den Palestrina instrumentieren.

Max HofmUller – Klemperer war der Störenfried in einer friedlichen, kleinbürgerlichen musikalischen Kompanie. Wir wohnten oben drei Stockwerk hoch, er kam am Abend mit seinen großen Beinen, bum, bum, bum, die Treppe hinauf, er klingelte nicht, sondern er schlug mit dem Fuß gegen die Türe, machte sofort das Licht zu, klopfte auf das Klavier … und er machte den ersten großen Chor aus dez Mathäuspassion. Er spielte das nicht mit zehn Fingern, sondern mit zwanzig!

Bach, Mathäuspassion

Klemperer – Ich habe mal mit Sigmund Freud gesprochen. Ich sagte: “Die Juden glauben an einen unsichtbaren Gott, nicht wahr? Aber die Christen glauben an einen sichtbaren Gott. Ist das nicht viel mehr?” Und dann sagte er: “Ich glaube an gar keinen Gott.” (lacht)

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Klemperer – In 1916, in einem Sanatorium im Taunus, erreichte mich ein Brief von Simmel, dem Philosoph. Nur in der Grenzstadt Strassbourg, ganz spät, wurde er Professor. Alle Universitäten in Deutschland wollten ihn nicht, weil er Jude war. Er interessierte sich sehr für Musik, und dann lud ich ihn ein zu einer Aufführung von Don Giovanni. Nach der Vorstellung sagte er: “Sie haben doch recht, da ist etwas in Mozart, etwas Dämonisches, was ich früher nicht gesehen habe.” Na, ich war sehr froh darüber. Er schickte mir ein Werk, ich sollte sagen, ob man die musikalischen Sachen drucken sollte. So lernte ich Ernst Bloch kennen.

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Ernst Bloch – Fidelio ist nicht nur musikalisch revolutionär, sondern vor allen Dingen politisch revolutionär, ein politisches Stück. “Nirgends brennen wir genauer”: Nirgends ist Genauigkeit derart vermählt mit entbrennen, mit in-Sturm-gebracht-werden. Und dieser Sturm ist logisch und nicht emotional, sondern völlig vernunfthaft. Was zugleich wieder der Natur meines Freundes Klemperer doch auch entspricht: das Vernunfthafte und das Emotionale.

Beethoven, Fidelio

Klemperer – Das Drama ist zuende. Florestan ist gerettet, und jetzt beginnt die Übertragung dieses Einzelschicksals in das allgemeine Schicksal des Menschen, der in Ketten liegt. Und Pfitzner hatte die Gewohnheit, die Chöre und alles wegzustreichen bis zu den ersten Worten des Ministers. Ich habe es natürlich hergestellt. Und der Pfitzner hat mir einen Krach gemacht! Ein Freund von Pfitzner, ein Militär, sagte: “Warum ist der Klemperer eigentlich nicht an der Front?” Also! Ich bin mehrfach gemustert worden und wirklich wie ein Wunder herausgekommen.

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Lotte Klemperer – Als mein Vater in Köln gastierte für Fidelio, ging ihm einfurchtbar schlechter Ruf voran, daß er als sehr diktatorisch und unangenehm galt als Dirigent, und so hatten sich die Sänger, die sich ja als Stars im Haus fühlten, und sind nicht zur ersten Klavierprobe erschienen. Nur meine Mutter, die solche Sachen nie mitmachte. Sie war eine richtige Autodidaktin, sie hörte schon mit neun Jahren auf zur Schule zu gehen. Und er sagte: “Na also, wenn niemand sonst da ist, fangen wir mit Ihrer Arie an.” Das war halt eben der Text: “Oh, wär’ ich schon mit dir vereint, und könnte ‘Mann’ dich nennen.”

Beethoven, Fidelio Aria Marcellina

GEGEN DAS KONVENTIONS-THEATER

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Klemperer – Na, das war so richtiges Repertoiretheater: jeden Tag eine andere Oper, alle schlecht probiert, keine richtig ausgearbeitet. Also, ich fand es skandalös, ich konnte nichts machen. Ich habe nach dem 2. Jahr wenigstens durchgesetzt, daß sogenannten “Opernhaus-konzerte” eingerichtet wurden. Da konnte ich wenigstens einiges von dem tun, was ich gerne tat.

Klemperer – Wie man die deutsche Armee über die Rheinbrücke zurückkommen sah, mit Blumen am Hut, und mit Mädel am Arm, und so, hat man doch gesagt; “Ja, das ist doch keine geschlagene, das ist doch eine siegreiche Armee, wer hat denn das getan?” Und da kam diese Sache mit dem Dolchstoß im Rücken von den Juden: die haben das getan!

Klemperer – In der Weimarer Republik bildete sich der National-sozialismus aus. Die Industriellen im Rheinland und in Wuppertal, Krupp und Thyssen, und wie sie alle heißen, die gaben dem Hitler, ehe er die Macht hatte, Geld, viel Geld!

Klemperer – Der Mensch ist eines der gefährlichsten Raubtiere, die es gibt. Nord ist sein Geschäft. Die Raubtiere werden diejenigen, die Toleranz und Duldung predigen, besiegen. Die Raubtiere haben es in der Gewalt.

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Hans Curjel – Ich sehe einen großen Menschen und eine kleinere Frau, in Karlsruhe, da sagte Klemperer: “Ich suche Doktor Curjel.” Und wir kamen ins Gespräch und haben dort gelacht und gehöhnt, dumpfes auf das Herz schlagen und von allem, was gemacht wurde, und haben beschlossen: Wir werden mal irgendetwas zusammen machen.

Haydn, Oxford Symphonie, 4. Satz

Klemperer – Very good, stop! Very good, only … (sings) … one bar before the forte: crescendo! …

Haydn

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Klemperer – Die Verhandlungen mit Berlin zerschlugen sich. Ich war nicht sicher, daß ich eine wirklich selbständige Stellung haben würde, und ich ging nach Wiesbaden.

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Ich war nur verpflichtet für sechs Monate, jedes Jahr.

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Klemperer – Ich bin nach Amerika gegangen. Ich bin, bis ‘36, zwölfmal in Sowjetrußland gewesen. Damals waren alle gleich, am Papier. Keine Voreingenommen … viele Juden waren in der Regierung, Trotzky war doch ein Jude! Er war auch in meinen Konzerten.

Natalia Saz – Wenn damals war schwer mit Lebensmitteln, Transport, Heizung, die Leute haben unerwartet gewaltige Möglichkeiten zu schöpferischer Arbeit bekommen.

Klemperer – Im Theater habe ich sehr viel gesehen. Das war die Behandlung des Textes und die gewissen stilistischen Einheiten … Stenislawski war schon ein großer, großer Regisseur.

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Natalia Saz – Plötzlich sehe ich einen Mensch, so groß gewachsen: Schwarze Brille, schwarze Haare, der hat gesagt: “So, man sagt, Sie sind Direktor. Ist es möglich? Ha, ha, ha! “Ich habe gesagt: “Es ist gar nicht zum Lachen: Ich bin Direktor, ha, ha, ha, ha!” Am nächsten Tag, da habe ich gelesen: “Ich bitte um die Ehre, mein Konzert zu besuchen. Otto Klemperer, Ihr sehr ergebener.

Klemperer – So etwas hatte ich noch nicht erlebt, alle drängten zum Podium vor. Das, wissen Sie: Der Russe hört nicht mit dem Ohr zu, sondern mit dem Herzen, nicht wahr?

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Lotte Klemperer – Die Mutter ist in Köln gestorben, und der Vater auch.

Klemperer – Den ersten Klavierunterricht bekam ich von meiner Mutter, die eine sehr gute Pianistin war. Aber ich wußte immer alles besser (lacht): schon damals!

Lotte Klemperer – Der Vater war bestimmt der viel gemütlichere Teil der Familie. Mein Vater sagte immer: Er hätte sich sehr wohl gefühlt in Wiesbaden, das wäre so grad das Rechte für ihn gewesen: so’n Kurort, viele Kaffeehäuser.

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Klemperer – Bei Fidelio habe ich und Ewald Dülberg, wir haben Regie geführt. Die Dekorationen, die hat Dülberg gemacht.

Hans Curjel – Die Sauberkeit, das war ja immer das Wesentliche. Dülberg war ein ungeheuer sauberer Mensch.

Klemperer – Ich habe mich ihm als Dirigent gerne untergeordnet, weil wir absolut in den Zwecken harmonierten.

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H.H.Stückenschmidt – Klemperer gab eigentlich mit seinem Minimum an Bewegung das Bild eines fast anti-emotionellen Musikers, aber was herauskam, war des genaue Gegenteil.

Haydn, Oxford Symphonie, 1. Satz

Klemperer – Yes …

H.H.Stückenschmidt – … und das war ja das, was ihn mit Busoni verband. Busoni spielte völlig unbewegt, als wenn das, was er spielte, ihn überhaupt nichts anging. Und diese scheinbare Nichtbeteiligheit entsprach sehr genau dem Gefühl einer jungen Musikergeneration nach dem ersten Weltkrieg.

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Klemperer – Der junge Hindemith, der war sehr frische Luft! Frech, und kein Pathos mehr. Strauss hat einmal sehr nett von ihm gesagt: “Warum komponieren Sie eigentlich so gräßlich? Ihnen fällt doch was ein?”

Hindemith, Nobilissima Visione

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Klemperer – Ich war bei der Ödipus-Uraufführung in Paris, und am Abend da spielte Strawinsky mit Prokoffieff vierhändig den Ödipus, und ein Chor sang. Ich war sehr überrascht.

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Hans Curjel – Klemperer hat mich gesucht wie ein Detektiv und sagte: “Es ist soweit, wir werden in Berlin ein Theater bekommen.”

AUFSTIEG UND FALL DER KROLLOPER

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Klemperer – Der Ministerialdirektor, Leo Kestenberg, der durch den Umsturz 1919 in das Ministerium kam, erzählte, daß Kroll neben der Staatsoper so gespielt wurde gelegentlich. Sagte ich: “Geben Sie mir doch Kroll!” Sagte ich dann. “Dann wird man schon sehen, was man daraus machen kann.” Kestenberg war sehr einverstanden mit dem Plan und Tietjen, der neue Generalintendant, beschrieb mir diese Stellung als das wirklich verlorenen Elisium: zehnjähriger Vertrag, lebenslänglich, pensionsberechtigt … freies Auto … es ist alles nicht wahr gewesen.

Hans Curjel – Die wesentlichen Bedingungen waren: wirklich künstlerische Aufführungen. Keine Routine. Wir wollten eine große Reinigungsaktion für die Aufführung der Oper.

Beethoven, Overtüre Fidelio

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Paul Dessau – Wie im Fidelio hat der Dülberg, wenn die Gefangenen auftreten, hat er die Hände der Choristen genommen und hat sie gefesselt. Er hat damit erstens gezeigt, in welchem Zustand die politischen Gefangenen gehalten wurden und zweitens um dem Chor die übertriebenen, romantisierten Gesten abzugewöhnen.

Klemperer – Ein solcher Mißerfolg, wie ich damals noch nie gehabt hatte: “Fidelio auf Eis!” Furchtbar!

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Hans Curjel – Die Kritik und das Publikum waren von Klemperer konsterniert, weil die das Strenge nicht gewohnt sind. Paul Dessau – Klemperers Interpretation der Musik hat immer etwas Kühles, Antikulinarisches, insofern, daß sich der Hörer nicht in seinem Sessel zurücklehnen konnte und träumend das genießen, sondern das Publikum mußte wach bleiben und tatsächlich im Brechtschen Sinn mitdenken und mitschaffen, was Klemperer und Dülberg gemeinsam erreichten, ohne es von Brecht zu nehmen. Das ist etwas Interessantes, weil es ein Parallelfall ist.

Well, Kleine Dreigroschenmusik, Suite

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Moje Forbach – Denn Klemperer suchte ja Darsteller. Der ist gar nicht so furchtbar wild gewesen auf Schöngesang. Er wollte Menschen auf der Bühne haben, und er wollte die Gestalten, die da standen, gestaltet haben. Ernst Bloch – Durch die Exaktheit von Klemperer zog es Intelligenz, die an sich zwar hochgradig musisch aber nicht musikalisch war, zu der Krolloper hin.

H.H.Stückenschmidt – Menschen der verschiedensten geistigen Zugehörigkeit: Priester, Politiker, Schauspieler und Schauspielkritiker. Literaten, Opernfeinde, wie der damals schon ganz der Politik gehörende Hans Eisler. Opernenthuasicsten wie Thomas Mann.

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Klemperer – Strawinsky ist nach Berlin gekommen. Wir waren die ersten, die Ödipus Rex auf dem Theater spielten.

Hans Curjel – Eine groteske Premierensituation: eine Festvorstellung für den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, und Tietjen hatte ihnen die Erstaufführung verkauft, weil dann viel Geld kam, nicht. Die haben nicht ge-wußt, was ihnen passiert.

Strawinsky, Symphonie

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Franz Beidler – Bayreuth pflegte die konventionelle Tradition, mit den Stichwort “Weihe”, nicht wahr. Die Holländeraufführung in Bayreuth war ausgezeichnet durch das minutiöse historische Detail.

Moje Forbach – Wenn ich denk’, wo ich die Senta schon überall vorher gesungen hab’, nit wahr, da war das alles von Lieblichkeit umschwebt und reizend und nett. Und plötzlich stand da eine Holzfigur. Aber das paßte eben zur Musik, die der Klemperer machte, das war der Urholländer, der war ja viel härter.

Wagner, Fliegende Holländer, Ballade Senta

Klemperer – Siegfried Wagner kam in die Generalprobe und ich sagte da: “Entsetzen Sie sich!” (lacht) Und er hat sich auf der Bühne gesagt: “Ihr seht mir ja komisch aus.” Er hat gelacht.

Moje Forbach – Die Frau von Siegfried Wagner, oh, die war empört! Die war schon über mein Kostüm … da hatte ich also einen blauen Pullover an und eine knallrote Perücke mit einem Knoten.

Moje Forbach – Die Premiere war ein jubelnder Erfolg. Meine Eltern haben gesagt: Es war unglaublich, wie das Hollönder-schiff kam, hat sich ein blutrotes Segel über dieses ganze Zimmer gelegt. Und natürlich haben es den angegriffen, aber wie! Das paßte denen doch gar nicht!

Franz Beidler – Siegfried Wagner soll das bekannte Wort von Herrn Goebbels “Kulturbolschewismus” auf diese Aufführung angewendet haben.

Moje Forbach – Und die Nazis wollten die zweite Vorstellung stören.

Klemperer – Es kam soweit, daß der Polizeipräsident mich anrief, sagte: “Hören Sie, heute Abend werden im Theater große Skandale losgehen.” Ich bat um zehn Kriminalbeamte in der ersten Reihe, und es ist zu nichts gekommen.

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Moje Forbach – Das heiß es ja, wir waren überhaupt die “Kulturbolschewisten” an der Krolloper. Wir gehörten zusammen, also da war keiner da, der den Obern gespielt.

Hans Curjel – So war’s eingerichtet, daß die führenden Gestalten: Klemperer, Zemlinsky, Zweig, Dülberg und ich, alles zusammen beraten haben. Es wurde entschieden: wie war die mehrheitliche Stimmung.

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Klemperer – Es geschah auch vieles, was ich nicht wollte und doch eingestehen mußte, daß es gut für das Ganze war.

Moje Forbach – Der Sänger war mindestens gleichwertig, ja fast manchmal mehr wie der Dirigent, der war der Begleiter! Man konnte frei singen und man war in keinem Zwang.

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Ernst Bloch – Klemperer klopfte nervös ab: “Na, sagen Sie mal, wie kommen Sie denn, Frau Forbach von diesem Ton wieder herunter?” “Ja,” sagte sie: “Hier steht aber doch geschrieben in der Partitur: ad libitum.” “Ad libitum, so, so … nun sagen Sie mal, meine Liebe, was heißt denn auf Deutsch “ad libitum?” Und sie, ein bißchen eingeschüchtert: “Ja, ich denke doch: nach Belieben.” “Sehr richtig, ja, nach Belieben heißt es. Und nach wessen Belieben?” Da machte nun die Moje Forbach einen Rokokoknicks: “Mach Ihrem, Herr General.”

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Klemperer – Ich bin nicht der erste, der erste ist der Komponist!

Haydn, Oxford Symphonie, Adagio

Klemperer – No, no! Eighty one, the whole orchestra!

Haydn

Klemperer – Na? Where is the bassoon?

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Max Strub – Wir sollten die Aria anhand der Originalpartitur ohne jedes aufgesetzte Vibrato spielen, auch ohne die üblichen Bindungen.

Fred Husler – Ich entsinne mich, wie da oft Sänger sagten: “Ja, wenn ich das so genau mache, dann geht ja mein höchstpersönlicher Ausdruck flöten.”

Pierre Boulez – He was not terribly interested by the kind of sentimentality in music, like Walter was, in the kind of sentimentality, he was not terribly interested also in the kind of rethoric and pathis like Furtwangler was. On the contrary, he was much more interested in the signification of the form of music.

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Klemperer – Ich traf mal Strauss im Engadin. Ein sehr netter Mann. Sehr höflich und konventionell, und sogar witzig … und da sagte er: “Ja, wissen Sie, so eine Beethoven-Symphonie kann ich nicht dirigieren, wenn ich mir nicht etwas vorstelle. Also, die 5. Symphonie (singt): das ist doch “Abschied von der Geliebten”. Und wenn die Trompeten kommen (singt): das ist auf -zu hehren Zielen!” Habe ich natürlich Mund und Ohren aufgerissen.

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Klemperer – Dülberg wurde nun sehr krank und mußte weg und da waren, haben alles mögliche gemacht: Schlemmer aus Breslau, Strand aus Wien und Moholy Nagy aus Budapest.

Fritz Zweig – Der hat Hoffmans Erzählungen inszeniert. Ein Chorrepetitor hat gesagt: “Musikalische Leitung: Zemlinsky, Röhrenleitung: Moholy Na … “

Hans Curjel – Und ich hatte dann die Aufgabe, nicht Klemperer zu üerzeugen, sondern den Generalintendant, war Tietjen.

Heinz Tietjen – Eine Inszenierung, als sie mir vorgelegt wurde im Entwurf, ich selber gestützt habe, das gebe ich sehr offen zu.

Hindemith, Nobilissima Visione

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Klemperer – Und es schien alles in Ordnung zu sein. Und da kam Herr Tietjen eines Morgens ins Büro der Krolloper und sagte ganz einfach: “Die Krolloper muß geschlossen werden.” Ich habe geglaubt, der ist irre geworden. Klemperer – Ich wollte keine avantgardistische Oper machen im schlechten Sinne, sondern gutes Theater. Das war den Machthabern allen nicht recht. Ich glaube, der Kaiser hat mal gesagt auf irgendwelche morderner, Werke: “Die ganze Richtung paßt mir nicht.” Ich war Ihnen zu fortschrittlich. Aber das allerwichtigste: die immer erstarkendere Macht der Nazis, die war schon … oh, dreißig, war es eigentlich schon scher, daß die mal an die Macht kämen.

Heinz Tietjen – Und das Repertoire war so, daß die Volksbühnenmitglieder anfingen zu murren. Sie gingen lieber in eins der beiden andern Opernhäuser in einen Rang höher und hörten sich die “Butterfly” an oder “Tiefland”.

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Moje Forbach – Ach, das ist ja nicht wahr. Erstens war’s immer voll. Nur zum Beispiel, also nicht begeistert war’s bei der “Erwartung” von Schönberg.

Klemperer – Da waren vielleicht in dem Ganzen Theater 25 Leute!

Moje Forbach – Es war eine Probe, in der saßen Schönberg, Klemperer im Zuschauerraum, und zwanzig Takte vor Ende der Probe legten irgendwelche Musiker ihre Instrumente weg, und da sagte der Zemlinsky: “Na, und …?” “Ja,” sagten die “wir sind fertig.” Da haben sie die ganze Oper 20 Takte vorweg gespielt, und kein Mensch hat’s gehört, weder der Komponist, noch der Klemperer!

Klemperer – Wir konnten das nicht zusammenbringen: Volksbühne und Experimentiertheater. Das war natürlich unser Fehler. Aber wir haben auch sehr viele dankbare Opern gegeben, also, Sachen die doch ohne weiteres akzeptiert wurden.

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Natalia Saz – Plötzlich einmal bekam ich eine Einladung, in Kroll-Opera “Fallstaff” ins Bühne zu setzen. Das war für ihn ein sehr großes Risiko, so eine junge Mädel-Regisseurin. Fritz Krenn hat mir gesagt: “Gnädige Frau, ich werde in der Mitte stehen, wenn ich singe.” Ich habe ihm geantwortet: “Mein Herr, bitte zur Seite, auf die Treppe hinauf.” er wollte einen Skandal machen. aber Klemperer hat immer seine ha-ha-ha gesagt, und das war so wie ein Befehl in Krolloper. Und größte Künstler haben gerne unseren Falstaff besucht: Erwin Piscator, Max Reinhardt, sogar Albert Einstein.

Klemperer – Ich sprach in Rom mit dem damaligen Staatssekretär Pacelli und bat ihn um seine Hilfe. Er empfahl mir, mit Reichskanzler Dr. Brüning zu sprechen, und Dr. Brüning sagte “Wir haben nach dem Versailler Vertrag unsere Schulden nicht bezahlt. Ich bin froh, daß wenigstens die eine Staatsoper geschlossen wird.”

Klemperer – Eine Schweinerei sondergleichen, daß dieses Theater, das am wenigsten Geld kostete dem Staat, wurde geschlossen. Keines sollte man schließen! Es mußte nur guter Wille da sein, und es war ganz schlechter Wille da.

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H.H.Stückenschmidt – Ich weiß, daß einmal im Preußischen Landtag Klemperer eine flammende Rede für sein sterbendes Institut gehalten hat.

Klemperer – Ich habe den Staat verklagt, der. preußischen Staat. Zu einem Prozeß, den ich mit Glanz verlor.

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Hans Curjel – Nicht weit von Kroll bemerkte ich, daß eine Gruppe von fünf, sechs Leuten uns folgte und bestimmte Sachen gerufen hat … habe ich gesagt: “Klemperer, wenn das nächste Taxi kommt, steigen Sie ein und fahren schleunigst nach Hause.” Kurz darauf kam ein Taxi, er stieg ein und die Burschen stürzten sich auf ihn und wallten ihn herausziehen. Und da habe ich die List angewandt, die ich von Brecht gelernt habe und habe geschrieen wie ein Unteroffizier: “Lassen Sie die Hunde von diesem Mann.” Und die, die das Anschreien gewohnt sind, haben die Hände von Klemperer gelassen und mir haben sie nichts gemacht.

Lotte Klemperer – Er kam nach Hause und erzählte davon, und das hat natürlichen tiefen Eindruck gemacht, so daß ich in den Tagen darauf immer hinter ihm herkam und ihn immer bat, er solle zu Hause bleiben, er solle nicht weggehen! (lacht)

Beethoven, Overtüre Fidelio 

Moje Forbach – Ein paar Leute wurden dann an die Lindenoper engagiert. Da ist gleich gesagt worden: “Die Sachen von Kroll machen wir nicht, nicht? Also: das … nicht!

Klemperer – Da waren ja Kleiber und Furtwängler und Leo Blech. Es gab viel zu viel Kapellmeister ich habe es aber doch durchgesetzt, daß ich dirigierte, was ent-weder von Kroll übernommen wurde oder ganz neu.

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Harold Byrnes – Im Sommer ‘32, als wir zurückfahren nach Berlin, hielt der Zug in Garmisch, und ich guckte aus dem Fenster: steht da Klemperer. Sagt’ er: “Wir müssen alle raus, wir Juden müssen alle raus aus Deutschland, bringen Sie sich rechtzeitig in Sicherheit, sonst wird es uns furchtbar gehen.

Klemperer – Ich war bei Strauss, und da tranken wir also Tee, und jeder sprach über die Nazi-Invasion, die ja eigentlich schon sicher war. Und da sagte seine Frau: “Na, wissen’s, Herr Doktor, wenn Ihnen die Nazis an den Kragen wollen, dann kommen’s zu mir, dann werde ich’s den Herren schon geben.” Und Strauss sah sehr verwundert auf sie und sagte: “Das wäre der rechte Moment, sich für einen Juden einzusetzen.”

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Moje Forbach – Ich sollte eine schwarze Perücke bekommen, und da hat der Klemperer dann gesagt: “Um Gottes Willen, sofort eine blonde Perücke anfertigen, sonst heißt’s wir haben sogar eine jüdische Venus!”

Klemperer – Und die Herren, die damals an der Macht waren, Hitler und Goering und Goebbels, waren alle anwesend. Fehling hatte die Regie, sehr im Einverständnis mit mir.

Moje Forbach – Die Sänger hatten ursprünglich schwarze Handschuhe an, dann sind die vorgegangen, haben die schwarzen Handschuhe abgelegt und zum Gesang die roten Handschuhe angezogen.

Klemperer – Wie ich zum dritten Akt ging, ans Pult, ah … huih … buh … und furchtbare Laute … meine Freunde klatschten Beifall, meine Feinde schrien und tobten … endlich ging es, nach zwanzig Minuten war es still und ich fing ganz ruhig an zu dirigieren.

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Moje Forbach – Na, das ist anti-jüdisch gewesen, doch klar, das war gegen Klemperer und Strnad, nicht wahr. Belinsky war der Tannhäuser, war auch Jude. Und dann hat der Hitler es verboten und hat die ganze Dekoration verbrennen lassen.

Klemperer – Tietjen war in einer etwas merkwürdigen Lage. Er machte Tannhäuser auch in Bayreuth. Und also, er sagte damals zu mir: “Ich kann doch nicht hier etwas gestatten, was ich da verurteile?” Sagte ich: “Allerdings nicht.”

Klemperer – Wie die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden, ‘76, da hat Nietzsche an einen Freund telegraphiert: “Bayreuth, bereits bereut. Nietzsche.” Er hat Wagner in die Karten geguckt. Wissen Sie, es ist genauso blödsinnig, Wagner zu unterschätzen, wie ihn zu überschätzen. Er hat beides nicht nötig.

55
Klemperer – Na, und im Februar wir der Reichstagsbrand, nicht wahr? Und ich wußte gar nicht, was ich tun sollte und ging zu Tietjen und sagte: “Ja, was ist denn mit der neunte Symphonie?” Ich hatte noch ein Konzert ausstehen. “Nein, das muß jemand anders dirigieren.” Sagte ich: “Was, warum?” “Das gibt einen Skandal!” Sag’ ich: “Erlauben Sie, es gibt keinen Skandal, und wenn es einen Skandal gibt, das stört mich nicht.’ “Diese Regierung weiß, wann es einen Skandal gibt!” Hat er gesagt.

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Klemperer – Na, und dann ging ich eines Morgens zu meinem Vetter, dem Arzt Georg Klemperer, und der sagte: “Denk’ mal, heute morgen haben sie den Nervenarzt Goldstein verhaftet.” “Ja, wo ist er denn?” “Weiß man nicht.” “Weiß seine Frau auch nicht?” “Nein” Da habe ich gesagt: “Dann muß ich wohl abreisen, denn morgen kann ja mir dasselbe passieren.” Also, ich bin am nächsten Morgen, habe mich bei Tietjen verabschiedet. Sagte ich: “Also, ich wollte Ihnen nur mitteilen, ich reise heute ab. Sie haben ja nichts für mich zu tun.” “Urlaub bekommen Sie nicht!” Sagte ich: “Ich brauche auch keinen Urlaub. Ich reise ab.” Und da hat er gesagt: “Ja, wo-wo-wohin reisen Sie denn?” Ich sag: “Ich reise nach Zürich, zu Bircher Benner”, das ist hier ein schönes Sanatorium oben. Da sagt’ er: Ja, also, ziehen Sie eigentlich gemischte Kost vor oder Rohkost?” Nicht wahr, das war ja auch das richtige Thema, denn er wußte doch, ich hatte kein Cent mehr in der Tasche. Und da sag’ ich: “Also, ich muß jetzt gehen, um halb drei geht mein Zug. Adieu.” Das war die Affäre Berlin.

Beethoven, 9. Symphonie, Scherzo 

ENDE I TEIL